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BEITRAGSORT

Südtirol und der deutsch-dänische Grenzraum

Via Castel Firmiano, 53, 39100 Bolzano BZ, Italien

Im März 2015 kam ich das erste Mal mit dem deutsch-dänischen Grenzraum in Kontakt. Zum 60. Jahrestag der Bonn-Kopenhagener-Erklärungen wurde ich zu einer Konferenz in Sonderborg eingeladen. Von den Organisator*innen wurde ich gebeten, das Südtiroler Autonomiemodell und dessen Entwicklung zu skizzieren. Am Ende der Diskussion wurde ich von einem der Zuhörer gefragt, welches der beiden Minderheitenmodelle nun das erfolgreichere sei, das von Südtirol oder das des deutsch-dänischen Grenzraumes?

Um diese Frage zu beantworten, ist es notwendig, einen Blick auf Südtirols Geschichte zu werfen: 1918 endete der Erste Weltkrieg, und Südtirol wurde an Italien angegliedert. Südtirol hatte nach der Annexion schwierige Zeiten zu durchleben: Die Machtübernahme des Faschismus in Italien und die „Italianisierung“ Südtirols stellte die deutsche und ladinische Minderheit vor großen Herausforderungen: Die deutsche Sprache und Kultur verschwanden aus dem öffentlichen Leben und dem Schulwesen, deutsche Verwaltungsbeamte und Lehrpersonen wurden durch italienische ersetzt. 1939 fußte dieses dunkle Kapitel in der sogenannten Option:  Die Südtiroler*innen mussten sich entscheiden, ob sie in das Dritte Reich auswanderten, um ihre Sprache und Kultur zu bewahren oder in Südtirol verblieben mit der Aussicht italianisiert zu werden. Der Großteil der Südtiroler*innen entschied sich für das Auswandern, aber aufgrund des 2. Weltkrieges gingen am Ende deutlich weniger.

In der Folge verweigerten die Siegermächte des 2. Weltkrieges Südtirol erneut das Selbstbestimmungsrecht. Im Pariser Vertrag wurden zwischen Österreich und Italien allerdings die Grundzüge einer Autonomie definiert und 1948 erhielten die Südtiroler*innen mit dem Ersten Autonomiestatut autonome Befugnisse und Maßnahmen zum Schutz der deutschen Sprache und Kultur. Da diese Kompetenzen zunächst nur der neugeschaffenen Region zugesprochen wurden, in der die italienische Bevölkerung die Mehrheit darstellte, war die Situation für die Südtiroler Bevölkerung nicht zufriedenstellend.

Durch den Frust der Bevölkerung waren Proteste und Bombenattentate die Folge. Die Vereinten Nationen begannen sich mit Südtirol zu beschäftigen; durch die Internationalisierung des Konfliktes kam es wieder zu Verhandlungen. 1972 einigte man sich auf das „Paket“, ein Bündel von Maßnahmen zum Schutz der deutschen und ladinischen Minderheit. Diese Maßnahmen waren die Grundlage für das Zweite Autonomiestatut und sind auch noch heute die Basis der Südtiroler Autonomie.

­ Die nächsten Jahrzehnte waren geprägt von Verhandlungen zwischen Bozen und Rom. Das Autonomiestatut wurde durch sogenannte Durchführungsbestimmungen weitgehend umgesetzt. 1992 wurde der Streit um Südtirol von Italien und Österreich vor der UNO offiziell beigelegt.

Südtirol hat folglich einen langen Weg hinter sich und hat es geschafft – dank seiner Autonomie – die Situation in Südtirol zu befrieden. Natürlich hat auch Südtirol noch Arbeit vor sich: Im tagtäglichen Zusammenleben zwischen den Sprachgruppen sind noch einige Herausforderungen zu meistern – oft spricht man von einem Nebeneinander, statt einem Miteinander. Demographische Entwicklungen und Migration sind für ein Grenzland, in dem autochthone Minderheiten leben, besonders herausfordernd; die Toponomastik führt in Südtirol immer wieder zu politischen Spannungen und eine Lösung ist noch nicht in Sicht. Autonomie ist kein Standbild und immer in Bewegung. Es gibt noch viel Potenzial: Insbesondere die noch recht junge Europaregion Tirol-Südtirol-Trentino birgt viel Potenzial und kann durch grenzüberschreitende Zusammenarbeit die Brückenfunktion Südtirols noch deutlicher sichtbar machen.

Insgesamt steht Südtirol heute sozioökonomisch sehr gut da, und das friedliche Zusammenleben zwischen den Sprachgruppen hat sich in Südtirol etabliert. Durch die im zweiten Autonomiestatut klar festgelegten Regeln wie z.B. den ethnischen Proporz, durch Verfahren in der Umsetzung der Autonomie und durch politische Verhandlungen kam es zu einer Deeskalation des Konflikts. Südtirol hat im Bereich des Minderheitenschutzes und der Minderheitenrechte ein nachahmenswertes Modell vorzuweisen, das Italien und der EU als Aushängeschild dient. Hauptsächlich in der Zwei- und Mehrsprachigkeit spiegelt sich das Südtiroler Bewusstsein für Diversität und interkulturelle Kompetenz wider.

Delegationen aus aller Welt besuchen regelmäßig Südtirol, um von den Erkenntnissen des Landes zu lernen und Erfahrungen auszutauschen. Bedeutende internationale Organisationen und Regierungsvertreter arbeiten regelmäßig mit verschiedenen Einrichtungen in Südtirol zusammen. Südtirols Konfliktlösungsmechanismus, erwähnt sei beispielhaft dieser E-Learning-Kurs [1], gemeinsam mit der Erfahrung und dem Wissen sind für andere Realitäten und andere Minderheiten wertvoll. Dasselbe gilt für den deutsch-dänischen Grenzraum. Aus diesem Grund sollten wir damit großzügig umgehen und unser Wissen weitergeben.

Um damit abschließend die Frage des Zuhörers zu beantworten, welches Minderheitenmodell nun das erfolgreichere sei? Diese Frage wird wohl noch länger in Expertenkreisen diskutiert werden. Sie wird wohl auch nie vollends beantwortet werden. Jedes Modell hat seine Stärken und Schwächen. Jedes Minderheitengebiet hat einen anderen historischen Kontext und unterschiedliche politische und wirtschaftliche Möglichkeiten.

Am Ende zählt, dass Südtirol und der deutsch-dänische Grenzraum durch die Förderung einer Innovationskultur, wirtschaftliche Attraktivität und kluges Standortmanagement zeigen, dass wir als Minderheitengebiete zu den Regionen mit Vorbildcharakter in Europa zählen.

Marc Röggla

Center for Autonomy Experience
Viale Druso 1 / Drususallee 1

[1] https://www.autonomyexperience.org/lernen-forschen/#elearning,

https://www.autonomyexperience.org/lernen-forschen/#summerschool

Bild: Schloss Sigmundskron, 1969, Fotograf/in: Mayr, Franz, 039-Bestand Franz Mayr Interreg V, Amt für Film und Medien/Autonome Provinz Bozen – Südtirol, LAV039-00026, CC BY 4.0